Gerade noch bist du in deiner gewohnten Routine. Der Tag beginnt, wie jeder andere und deine Schritte, die vor dir liegen sind im Groben vorgegeben, da du jeden Tag versuchst dich an die Gewohnheit zu klammern.
„Das habe ich schon immer so gemacht…“
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Doch in der Demenz gibt es oft diese Tage an dem ein „normaler“ Tag startet und nur Sekunden später scheint es, als sei das, was vor einem liegt ein völlig unbekannter Ort.
Panik und Angst macht sich breit.
Nichts scheint wie vorher gewesen zu sein.
All die Menschen um einen herum… wo bin ich?... was soll ich hier an diesem Ort…
wer bin ich und wer bist du?
Verloren in einer Welt in der man sich eh mehr schlecht als recht bewegt.
Verwirrung wird zu einem Zustand, der sich täglich in den Gedanken widerspiegelt.
Die Demenz nimmt dir die Gewohnheit und lässt dich vergessen was dir einst wichtig war…
wer dir einst wichtig war.
Die Werte, welche du jahrelang weitergetragen hast, verschwinden in der ewigen Dunkelheit deiner Gedanken. Man verlangt von dir vernünftig zu handeln, so wie damals halt.
Damals…da wo die Demenz noch keinen Raum in deinem Leben hatte.
Damals als sie noch verborgen in dir schlummerte und langsam voran geschritten ist bis zu dem Tag, an dem du sie nicht mehr halten konntest.
Von dem Tag an hat sie angefangen dir deine Erinnerungen zu rauben.
Auch deine Gewohnheit wird angegriffen, da du oft nicht mehr unterscheiden kannst was war und was gerade ist.
Die Welt, in der du dich nun fortan bewegst, ist eine Welt, in der man nur schwer Platz findet. Nimmt man einmal Platz von außen ein, so erreicht man dich kurz auf einer emotionalen Seite und alles scheint normal.
Doch im nächsten Moment ist man nur ein Gesicht von vielen und alles, was bleibt ist ein Lächeln, welches du weitergeben kannst.
Mit Verständnis reagieren und akzeptieren das mein Gegenüber, … der Mensch der mich großzog und mir seine Liebe mit auf dem Weg gab nun an einem anderen Ort weilt welcher für mich nicht zu fassen ist.
Ich kann ihn nicht erreichen, aber ich kann ihn halten. Ich dring nicht durch ihn durch, aber ich kann an seiner Seite stehen und ihn auf seinem Weg eine Unterstützung sein.
Türen, welche geschlossen wurden, kann ich versuchen durch Erinnerungen,
alte Gewohnheiten oder mein Vertrauen erneut zu öffnen. Manchmal hilft schon ein Spalt und für einen Moment findet man Halt in der Freude, die sich dann offenbart.
Die Demenz ist nicht das Ende der Welt.
Im Gegenteil sie öffnet eine ganz neue Welt.
Eine Welt, in der ich lernen darf der Demenz mit Geduld, Ruhe, Empathie und ganz viel Verständnis und Liebe zu begegnen.
Eine Welt die, wenn Sie mich nicht betrifft, mir lehren kann, wer ich bin.
So wie ich mich der Demenz gegenüber stelle so werde ich meinem Spiegelbild begegnen.
Teil eines Demenzkranken Menschen zu sein bedeutet auch ein Stück von sich auf einem langen Weg zu verlieren, aber auch viel zu gewinnen, wenn man es schafft ein Teil von der Welt des an Demenz Erkrankten zu sein.
In unserer täglichen Arbeit mit unseren Senioren befinden wir uns ganz oft an Orten, an denen noch keiner von uns zuvor gewesen ist.
Wir werden mitgenommen auf einer Reise in ein Labyrinth von Gedanken und Gefühlen. Manchmal können wir selbst keinen Unterschied im Ort erkennen, da unsere Handlungen oft eine Welt widerspiegeln, in der wir uns gerade selbst finden. Wir kommen dann wieder raus aus dieser Situation und was bleibt ist eine Tür zu einer Welt unseres Bewohners die wir nutzen dürfen.
Demenz ist herausfordernd, kräftezerrend, traurig, oft belastend.
Du verlierst dich selbst und oft auch alle um dich herum.
Umso wichtiger ist es sich offen einer neuen Welt entgegenzustellen in der viel über dein persönliches Seelenheil, deine Stimmung, in der du dich befindest oder deine Ehrlichkeit reflektiert wird.
Du wirst lernen aus einer Welt mit Verwirrung positives in glücklichen Momenten zu ziehen und deine Erinnerungen werden lebendig.
Denn du bewegst dich in einer Welt aus Erinnerungen.
Ob du selbst betroffen bist, Angehöriger eines Betroffenen oder Profi.
Jede Welt, die die Demenz mitbringt, ist eine eigene Welt. Und jede wartet darauf das du sie kennenlernst.
Begegne ihr nur wenn du dich selbst wohlfühlst, denn die Welt eines Demenzkranken ist oft ein Spiegelbild von dir.
Erinnerst du dich an mich?
„Als du geboren warst, da hielt ich dich in meinen Armen und schenkte dir Geborgenheit. Ich wärmte dich, wenn dir kalt war und deckte dich zu, wenn deine Decke mal wieder neben dir lag. Ich beobachtete dich, wenn du geschlafen hast, und dankte Gott für das Wunder, was er mir geschenkt hat.
Eine friedliche Menschenseele, unschuldig auf dem Weg zu seiner ganz eigenen Reise.
Von nun an war es meine Aufgabe dich zu begleiten.
Wenn wir draußen gespielt haben und du bist, gefallen, dann hob ich dich auf. Klebte dir ein Pflaster auf die Verletzte Stelle, gab dir einen Kuss auf die Stirn und du schenktest mir ein Lächeln. Die Tränen wischten wir aus deinem Gesicht und wir waren uns einig das wir einfach weitermachen, auch wenn wir mal am Boden liegen.
Hast du dir weh getan… war ich für dich da.
In vielen Momenten bist du mir in die Arme gefallen, sagtest mir wie lieb du mich hast. Deine Umarmungen waren ehrlich, ich durfte dein Halt und deine Zuversicht sein.
Die Freude in deinen Augen war groß, wenn du mich gesehen hast, und du konntest es kaum erwarten das wir etwas zusammen unternehmen.
Meine Zeit gehörte dir und ich war glücklich diese zu haben.
Du wurdest größer und bist immer mehr deine eigenen Wege gegangen. Und doch wusstest du, wer für dich in der Not da ist.
Deine Erfahrungen, die du tagsüber gemacht hast, hast du am Abend mit mir geteilt.
Mit vielen war ich nicht einverstanden und doch hast du das nie gemerkt. Ich habe akzeptiert das deine Erfahrung und dein Weg nicht meiner ist. Ich kann dir nur eine Begleitung auf deinem Lebensweg sein und dir Halt geben, wenn du ihn brauchst.
Viele schlaflose Nächte liegen hinter mir.
Desto älter wir wurden, umso mehr lebten wir uns auseinander. Den Halt, die Fürsorge und deine Liebe gibst du nun deiner Familie und das ist richtig. Die Zeit, die uns bleibt, wird weniger mit jedem Tag. Und doch akzeptiere ich das dein Leben anders aussieht.
Jetzt bin ich alt und mein Leben spielt sich erneut vor meinen Augen ab.
Ich sehe viele Gabelungen auf meinem Weg, an dem ich mich wohl besser anders entschieden hätte. Ich sehe Lebenszeit, die ich nicht genutzt habe, um sie mit dir zu teilen. Ich sehe dich als kleinen Engel, der mir einst geschenkt worden ist. In der Einsamkeit meiner Gedanken suche ich nach dem verlorenen Frieden, der einst zwischen uns war.
Die Lebensphase, in der ich mich befinde, ist mein letztes Kapitel. Ich möchte ihn in Frieden mit dir, meinen Kindern verbringen. Ich möchte ungeklärtes Klären, sofern es mir möglich ist. Möchte in deinen Armen und deiner Nähe ein wohliges Gefühl haben.
Deine Worte sollen mir Freude schenken.
Wenn ich am Boden liege, hebe mich auf, gib mir einen Kuss und sag mir das wir das schon schaffen werden. Weiß ich nicht mehr, wer du bist, dann verzeihe mir und erinnere du dich für mich.
Werde ich nun müde dann bleib bei mir bis zum Schluss. Halte meine Hand und schenke mir kurz Zeit, lass mich nicht allein.
Ich war bei dir an dem Tag, wo du zu mir gekommen bist, bleib du nun, bis ich gegangen bin. Kannst du es nicht, werde ich dir verzeihen.
Erinnere dich stets an das Gute was uns Geschehen ist und vergiss nie die Zeit, die wir zusammen verbringen durften.
Ich hoffe sie wird dich stets begleiten.
Erinnerst du dich an mich?“
Mama! Warum bist du so?
Es war ein Tag wie jeder andere.
Ich besuchte Mama zu Hause und habe ihr noch schnell frische Erdbeeren mitgebracht.
Diese mag sie am liebsten.
„Die von Bauer Kalle sind die besten…“,
sagte sie uns schon in frühen Kinderjahren.
Also noch schnell zum Bauernhof gefahren und dann geradewegs zu Mama.
Auf den Weg machte ich mir immer mehr Gedanken. Schon lange bemerke ich wie meine Mutter sich verändert. War sie doch immer ein fröhlicher Mensch und hatte viele Menschen um sich herum. Sie war gerne in Gesellschaft. Und heute sitzt sie nur noch zu Hause und seit dem Tod von Papa unternimmt sie auch nichts mehr. Das war vor 4 Jahren…
An meinem Elternhaus angekommen stand Mama bereits am Fenster. Ihr Blick starr und es schien, als sei sie traurig.
„Hallo Mama… da bin ich…“
„Ja sehe ich… und?... du warst ja schon lange nicht mehr hier…“
Unser Gespräch endete in einem Streitgespräch. Gegenseitige Vorwürfe, Anschuldigungen und Beleidigungen, so dass die Situation mich dazu trieb die frisch mitgebrachten Erdbeeren auf den Tisch zu werfen, mich umzudrehen und nach Hause zu fahren.
Auf halben Weg hielt ich an. Das schlechte Gewissen welches ich als Kind in einem solchen Moment habe bewirkten das Tränen an meiner Wange herunterflossen.
„Wo ist meine Mama von damals?... Sie war immer stark…für mich da… beschützte mich auf all meinen Wegen…“
Einer der vielen Momente, an denen ich meine Grenzen erkenne und meine emotionale Seite mir zeigt das sich, was ändern muss.
Ich wischte mir die Tränen vom Gesicht, drehte um und wollte mit Mama ein klärendes Gespräch führen. So kann es nicht weiter gehen.
Wieder angekommen waren alle Rollos unten. Ich betrat das Haus und sah, wie meine Mutter in ihrem Schaukelstuhl saß und sich ihr Hochzeitsbild anschaute. Ein schönes Bild meiner Eltern. Noch in Schwarz-Weiß und Vater in Uniform. Sie strahlten sich an trotz der schweren Zeit, in der sie lebten.
Sie hat nicht mitbekommen das ich da bin und ich hörte, wie sie sich unterhielt…
„Ach Johann… wo bist du nur? ...Vorhin stand ich am Fenster und habe auf dich gewartet. Doch du bist wieder nicht gekommen. Jeden Tag verbringe ich stundenlang damit so dass ich oft vergesse welcher Tag eigentlich ist. Unsere Beate hat frische Erdbeeren vorbeigebracht. Doch anstatt mir zuzuhören wollte sie nur alles schnell wissen und sagte mir, was ich alles falsch mache. Behauptete ich würde alles vergessen und würde mich unmöglich benehmen.
Ich muss immer oft daran denken, wie unsere Beate damals immer die frischen Erdbeeren von Bauer Kalle mitbrachte. Wie wir gemeinsam deinen Lieblingskuchen gebacken haben und als Familie dann auf der großen Wiese unter der großen Eiche immer ein kleines Picknick gemacht haben.
Doch heute… heute muss alles nur noch schnell gehen. Ich bin allein, vergesse immer mehr. Draußen ist es dunkel und ich weiß nicht, ob ich gegessen habe oder noch was essen wollte.
Ich kann nicht entscheiden. Johann… haben wir doch immer zusammen entschieden.
Aber vielleicht kommst du ja morgen zurück. Und vielleicht kommt ja auch Beate und bringt wieder Erdbeeren mit.
Das Wetter soll gut werden.
Vielleicht können wir ja ein Picknick machen.
Ach Johann…wo bist du nur? Und hast du Beate gesehen… bitte bring sie mit. Ich habe uns auch Erdbeerkuchen gemacht.
Bauer Kalle hat heute welche gebracht…“
Und wieder hatte ich Tränen in den Augen.
Es ist die Einsamkeit, das alt werden und das ewige Warten auf etwas, was ich mir nie zurückholen kann. Die Vergangenheit hat Mama erreicht. In ihrer Welt ist sie die Mutter,
die ich jetzt bin.
Und jetzt muss ich Mutter für meine Mama sein. So wie ich meinem Kind mit bedingungsloser Liebe und Fürsorge begegne. So muss ich es auch an Mama weitergeben.
Denn die Vergangenheit meines Kindes ist die Zukunft von mir.
„Hallo Mama… Hast du Lust auf ein Picknick...“
Im Alter wird es wieder so wie es mal war…Ehrlich.
Es sind die vielen Seiten, die wir im Alter zeigen. Seiten an uns die verloren gegangen sind.
Seiten von uns werden sichtbar die wir selbst nicht erkennen, da sie für uns zu unserem Leben gehören und nur eine Zeitlang verborgen waren durch Familie und Beruf.
Man sagt wir verändern uns im Alter. Im Alter werden alle vergesslich, tüdelig… vieles ist einem nicht mehr so wichtig.
Man lernt Kompromisse einzugehen.
Oft gibt es keine andere Wahl.
Krankheiten zwingen uns dazu den Alltag zu ändern, die Umgebung anzupassen und Dinge zu akzeptieren die wir nicht mehr ändern können. Oft ist es zu spät sich die langersehnten Wünschen nun endlich zu erfüllen.
Wieviel haben wir uns doch noch vorgenommen...
Und doch versuchen wir uns in unserem Prozess des alt werden… uns wohlzufühlen.
Wir wollen uns nicht mehr alles gefallen lassen, hinnehmen nur weil gerade keine andere Lösung in Sicht ist. Man hat seine Erfahrungen gemacht, kann für sich abschätzen, womit man sich gut fühlt und womit nicht.
Im Alter haben wir gelernt manchmal besser ruhig zu sein… des Friedens willen.
Das Leben hat uns viel Erfahrung geschenkt.
Wenn ich auf unsere Senioren im Haus Noah schaue, dann sehe ich das die Demenz da seinen ganz eigenen Weg geht.
Menschen mit Demenz lügen nicht.
Sie sagen gerade raus was ist auch wenn der Zusammenhang aus Gedanken entstanden ist, die für uns in dem Moment nicht nachvollziehbar sind. Sie verbinden den Moment mit einem früheren Moment aus ihrem Leben und holen das nach was sie damals nicht konnten.
Sie regen sich auf, weinen, lachen oder ein ganz eigener Ausdruck ihrer Emotionen wird sichtbar. Im nächsten Moment vergessen sie…
Und so durchleben sie manche Geschichten mehrmals oder manche auch das letzte Mal… oft unvollständig.
Aber sie lassen jedes Mal ihren Gefühlen freien Lauf und transportieren diese ehrlich weiter.
Sie müssen sich nicht mehr verstellen.
Sie haben vergessen, wie das geht.
„Ich weiß gar nicht was die schon wieder will…im Alter werden sie alle komisch…je oller, desto doller…jetzt reiß dich doch mal zusammen…
ich erkenne dich gar nicht mehr…“
Jeder der in der Mitte seines Lebens angekommen ist und sich in einer Zeit befindet wo die Eltern oder ein Elternteil noch Teil seines Lebens ist…hat diese oder ähnliche Worte schon benutzt.
Da Bild, was wir von unseren Eltern haben, bröckelt und wir empfinden das als große Veränderung, suchen nach Erklärungen und vergessen dabei, dass wir wohl auch eines Tages an diesem Tag ankommen werden.
„Diese Seite kannte ich noch gar nicht von meinen Eltern…das haben die noch nie gemacht…“
Mit Demenz im Alter zeigen wir unser wahres Gesicht, hören auf uns zu verstecken, die heile Welt, die man jahrelang versucht hat, aufrecht zu erhalten und in die viel Lebensenergie geflossen ist…verschwindet.
Unterhält man sich mit unseren Bewohnern und hört Ihnen zu… beobachtet sie, dann weiß man genau, wer ein für sich zufriedenes Leben geführt hat und wer nicht.
Wer glücklich ist und wer nicht.
Aber eins haben sie alle gemeinsam.
Sie drücken das aus was sie empfinden.
Sie sind ehrlich, auch wenn sie nicht immer die passenden Worte finden. Und desto besser wir uns einander kennen, umso besser verstehen wir den anderen.
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